Staatskanzlei

„Sicheres Aufwachsen in einem kinderfreundlichen Brandenburg“

Rede von Ministerpräsident Matthias Platzeck im Landtag Brandenburg zum Thema: „Sicheres Aufwachsen in einem kinderfreundlichen Brandenburg“

veröffentlicht am 25.01.2006

„Kinder und Familien erleben in diesen Wochen in Deutschland eine Konjunktur wie niemals zuvor, und das ist gut so. Das ist deshalb gut, weil jetzt endlich vielen klar wird, dass es bei diesen Feldern nicht um irgendwelche vermeintlich „weiche“ Themen geht. Nein, hier geht es hier um ganz knallharte Zukunftsfragen unserer Gesellschaft insgesamt. Der Zusammenhang ist sehr einfach. So gut oder so schlecht, wie wir heute für die Entwicklung unserer Kinder und unserer Familien sorgen, so gut oder so schlecht wird es morgen unserem Land ergehen. - Schon deshalb müssen wir alles tun, was wir nur können, damit in Deutschland wieder mehr Kinder geboren werden. - Wir müssen alles tun, damit Menschen ihren Beruf und ihre Familie besser unter einen Hut bekommen können. - Wir müssen alles tun, damit alle Kinder ihre Potenziale vollständig entfalten können. - Und wir müssen alles dafür tun, dass kein einziges Kind zurückgelassen, vernachlässigt oder gar misshandelt wird. Dass sich diese Einsichten jetzt zunehmend durchsetzen und von immer mehr Menschen vertreten werden, ist ein großer Erfolg für alle, die bereits in der Vergangenheit versucht haben, Öffentlichkeit für Kinder, Familien, Bildung und Demografie zu schaffen. Der Brandenburger Landtag beschäftigt sich an den beiden Sitzungstagen dieser Woche gleich in vier Tagesordnungspunkten mit Politik für Kinder und Familien. Auch das ist gut. Wer sich nicht so genau auskennt, der könnte daraus den Schluss ziehen, nun sei ganz plötzlich auch in Brandenburg eine kurzfristige Begeisterung für Familien und Kinder ausgebrochen. Wenig wäre so falsch wie dieser Eindruck. Hier bei uns in Brandenburg standen die nun überall heiß diskutierten Fragen bereits ganz oben auf der Agenda, als man von ihnen anderswo noch nichts wissen wollte. Auf diesem Gebiet haben sich die Koalitionspartner mit voller Absicht sehr hohe Ziele gesetzt. Wir haben uns vorgenommen, alles zu tun, damit Brandenburg zu einer der kinder- und familienfreundlichsten Regionen in Europa wird. Denn wir werden Lebensqualität und wirtschaftliche Dynamik auf Dauer nur dann erlangen und erhalten, wenn wir die Bedingungen beharrlich weiter verbessern, unter denen Kinder hier bei uns in Brandenburg geboren werden und aufwachsen. Zugleich aber müssen wir bei allen Debatten darüber, was wir in Zukunft noch besser machen können und müssen, sehr genau darauf achten, dass uns die Maßstäbe zur Bewertung der Gegenwart nicht durcheinander geraten. Ich sage es sehr deutlich: Brandenburg ist im Vergleich der deutschen Bundesländer ein armes Land. Und Brandenburg ist ein Land mit ungleich schwierigeren ökonomischen Voraussetzungen als westdeutsche Bundesländer wie beispielsweise Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen. Aber dort wo wir in Brandenburg – mit unseren weitaus geringeren finanziellen Möglichkeiten – im Hinblick auf Kinder- und Familienfreundlichkeit heute schon stehen, da wollen viele andere überhaupt erst noch hinkommen: - Brandenburg belegt in der Kindertagesbetreuung bundesweit einen absoluten Spitzenplatz und braucht, wie die OECD bestätigt, auch den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. - Brandenburg wendet für die Kindertagesbetreuung im Haushaltsjahr 2005 einen Landeszuschuss von 123 Millionen Euro auf – mehr pro Kind als jedes westdeutsche Flächenland. - Brandenburg hat bei den unter Dreijährigen eine Versorgungsquote von 40 Prozent – kein einziges westdeutsches Flächenland erreicht auch nur ein Viertel dieses Werts. - Brandenburg weist bei den Kindern im Kindergartenalter einen stabilen Versorgungsgrad von über 90 Prozent auf. - In Brandenburg nehmen fast 98 Prozent aller Kinder im letzten Jahr vor der Einschulung ein Angebot der Tagesbetreuung wahr. - Und in Brandenburg besteht ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für alle Kinder im Alter zwischen 0 bis 12 Jahren, um Beruf und Elternschaft – egal ob Ehepartnern oder Alleinerziehenden – vereinbar zu machen. Das sind beträchtliche Erfolge, um die wir weithin beneidet werden und auf die wir mit Recht stolz sein können. Ich meine, wir sollten uns vor diesem Hintergrund dieser Errungenschaften schon ab und zu einmal über die Maßstäbe der Kritik verständigen, die dem bei uns in Brandenburg Erreichten entgegengehalten werden. Ich sage es hier deshalb gerne noch einmal sehr deutlich: Wir in Brandenburg sind längst da, wo andere noch hinwollen. Wir haben die zentralen familienpolitischen Ziele der Vereinbarkeit und der frühkindliche Betreuung, um die es in der familienpolitischen Debatte in Deutschland dreht, bereits in hohem Maße verwirklicht. Ja, dabei bleibt immer noch sehr viel zu tun. Aber über eines sollten wir uns im Klaren sein: Unsere Brandenburger familienpolitischen Auseinandersetzungen führen wir vor dem Hintergrund ganz anderer, nämlich bei weitem günstigerer Verhältnisse, als sie anderswo in Deutschland zu finden sind. Dennoch: Zukünftig werden wir systematisch weiter voran kommen müssen. - Wir werden weiter für einen gesamtgesellschaftlichen Mentalitäts- und Wertewandel hin zu positiven Einstellungen gegenüber Kindern und Familien arbeiten. - Wir werden die pädagogische Qualität unserer Einrichtungen frühkindlicher Betreuung , die Bildungs- und Erziehungskompetenzen von Eltern und Familien, Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern beständig und planmäßig verbessern. - Wir werden daran weiter arbeiten, in Brandenburg eine integrierte Politik für Kinder und Jugendliche zu gestalten, bei der Familien-, Bildungs- und Sozialpolitik sowie ehrenamtliche Akteure systematisch am selben Strang ziehen. - Und wir entwickeln neue Lösungen und Netzwerke, um der Vernachlässigung von Kindern wo immer nur irgend möglich schon im Ansatz entgegenzuwirken – Frau Ministerin Ziegler wird hierzu einige zentrale Gesichtspunkte darstellen. Es bleibt, mit anderen Worten, noch genug zu tun. Und wir haben allen Grund, die noch vor uns liegenden Aufgaben als einen kontinuierlichen Prozess der Verbesserung zu begreifen – als einen Prozess, bei dem wir bessere Lösungen nicht unbedingt dadurch erreichen, dass wir immer mehr Geld aufwenden. Die Haushaltslage unseres Landes ist bekannt. Und deshalb gilt: Das Ausmaß der Kinder- und Familienfreundlichkeit unserer Gesellschaft kann und darf nicht davon abhängen, ob wir Jahr für Jahr mehr Geld für diese Aufgaben aufwenden. Wie gewöhnungsbedürftig diese Einsicht ist, das zeigt die aktuelle Debatte in diesem Haus. Gerade den Damen und Herren von der Opposition möchte ich deshalb sagen: Politik handelt nicht nur davon, dass man Ziele benennt, die mit noch mehr Geld noch besser erreicht werden könnten. Politik handelt auch davon, dass sich nicht alle wünschenswerten Ziele gleichzeitig erreichen lassen. Gebraucht werden deshalb Abwägung und Kompromiss, gebraucht wird der Ausgleich zwischen Interessen, zwischen verschiedenen erstrebenswerten Zielen. Genau das macht Politik aus. Es ist das Privileg der Opposition, dass sie die Addition von Wünschen und Forderungen bereits für Politik halten darf. Wer nicht in der Verantwortung steht, der braucht auch nicht zu unterscheiden zwischen dem Wünschbaren und dem Machbaren, der braucht nicht zu unterscheiden zwischen hehren Zielen und tatsächlichen Möglichkeiten, der braucht nicht die Balance zu halten zwischen guten Absichten und begrenzten Mitteln. Genau darauf kommt es aber an. Es geht niemals alles, und erst recht geht nicht alles zugleich. Die Brandenburger Koalitionspartner sind sich dieser Realität bewusst. Wir müssen unsere Ziele mit der Wirklichkeit in Einklang bringen. Das heißt ausdrücklich nicht, dass wir Ziele aufgeben würden. Es heißt nur, dass wir uns die Mühe machen müssen, Strategien und Konzepte zu entwickeln, damit wir unseren Zielen Schritt für Schritt näher kommen können. Und genau diesen Weg haben wir eingeschlagen. Wer dagegen so tut, als wäre alles zugleich und jetzt sofort machbar, der verabschiedet sich von dem Anspruch, die Wirklichkeit zu gestalten. Dass sie die Wirklichkeit positiv gestalten will – genau das unterscheidet derzeit die Brandenburger Regierungsparteien von der Opposition in diesem Haus. Wir haben in der Politik für Kinder und Familien vieles bereits erreicht, vieles andere bleibt noch zu tun. Ich habe darauf hingewiesen: Eine der wichtigsten Einsichten überhaupt ist dabei, dass wir kein einziges Kind zurücklassen dürfen. Wo immer Kinder und Jugendliche daran gehindert werden, ihre Potenziale zu entfalten, da nehmen nicht nur einzelne Menschen Schaden. Da verliert zugleich unsere ganze Gesellschaft. Deshalb muss uns allen klar sein: Kinderfreundlichkeit und sicheres Aufwachsen für alle Kinder sind keine Ziele, die wir allein mit staatlichen Instrumenten gewährleisten könnten. Kinderfreundlichkeit und sicheres Aufwachsen für alle Kinder in Brandenburg werden wir nur im Rahmen einer umfassenden Kultur der Aufmerksamkeit und des Hinschauens erreichen. Zu dieser Kultur des Hinschauens kann jede einzelne Bürgerin und jeder einzelne Bürger unseres Landes einen eigenen Beitrag leisten. Ich bin mir sicher: Davon hängt deutlich mehr ab als von manchem Streit um familienpolitische Instrumente.“